Klugen Köpfen kluge Fragen zu stellen ist eine Kunst.
Mal provokant, aber stets charmant, fühlt Dr.-Ing. Katharina Knaisch mit viel Fingerspitzengefühl interessanten Persönlichkeiten auf den Zahn. Ein Interview über Erfolgsgeschichten, den Erfolgsfaktor Mensch und all das, was sich eben nicht googeln lässt.
Petra Stefanie Kreusel, Senior Vice President und Aufsichtsrätin der Deutschen Telekom: Ein Talk über kluge Digitalpolitik, Schlüsselkompetenzen, die Vorbildrolle als Frau in der Tech-Branche und welchen (Karriere-)Rat sie ihrer eigenen Tochter mit auf den Weg gibt.
Frau Kreusel, in Ihrer Rolle als Senior Vice President und Aufsichtsrätin der Deutschen Telekom sind Sie nicht nur verantwortlich für den Erfolg und Bestand Ihrer Unternehmen, sondern auch für Ihre Mitarbeiter. Welche Verantwortung ist schwieriger?
Es ist die „Verantwortung“ für Mitarbeiter, weil hinter jedem Einzelnen ein Mensch mit all seinen Facetten steht. Unternehmen sind juristische Gebilde, die Prozessen und Geschäftsmodellen unterliegen, die zwar ohne Mitarbeiter nicht umsetzbar wären, aber sie können rational bedient werden. Es braucht eine Mischung aus den Mitarbeitern zugewandt sein, verbunden mit gesundem Unternehmergeist. Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Was macht eine gute Führungskraft aus?
Führung erzeugt Widerspruch und ist immer dann besonders gefordert, wenn es Zielkonflikte gibt. Eine gute Führungskraft ist eine Mischung aus Managementfähigkeiten und Leadership-Begabung mit einem ausgeprägten Gespür für Menschen, deren Kompetenzen und Potenziale. Ein Leader ist möglichkeitsorientiert, er ist auf Beziehungen und Ergebnisse konzentriert statt auf Zeit. Und: Ein Leader ist für mich auch jemand, der Visionen für das Unternehmen hat und die Fähigkeit besitzt, Menschen mit diesen Visionen zu begeistern.
Gibt es Momente, in denen Sie gerne mal die Führung abgeben würden?
Nein! Leadership bedeutet Verantwortung zu übernehmen und diese nicht auf Gremien oder sogar Mitarbeiter abzuschieben. Erfolgreiche Unternehmen setzen auf diesen Typus Leader, einen der vielmehr Vorbild und Coach seiner Mitarbeiter ist. Es gibt herausfordernde, nervige, scheinbar ausweglose, stressige und manchmal auch sehr unangenehme Situationen. Doch abgeben bedeutet für mich auch aufzugeben.
Sie selbst beschreiben „Kante zeigen“ als Ihre Lebensphilosophie. Ist dieses „Kante zeigen“ das Erfolgsgeheimnis für Ihre Karriere? Lässt sich diese Einstellung lernen?
Ohne Ziele kommt man da an, wo andere einen haben wollen. Deshalb ist es wichtig an sich selbst zu glauben, etwas auch wirklich zu wollen – und manchmal muss man auch etwas aushalten können. Authentizität und Glaubwürdigkeit: für etwas stehen und sich nicht verbiegen lassen. Oftmals erlebe ich leider Opportunismus und Anbiederei. Jeder Mensch muss für sich herausfinden, wer er ist und für was man sich berufen fühlt. Meine persönliche Lebenseinstellung passt zu mir, muss aber nicht eine Blaupause für andere sein.
Kollegen wenden sich oft an mich, weil sie Rat oder Orientierung brauchen. Manchmal reicht es schon aus, dass man einfach nur zuhört und nicht gleich urteilt oder wertet. Ich versuche Menschen nicht zu sagen, was sie in bestimmten Lebens- und Arbeitssituationen genau tun müssen – mein Ansatz ist, anhand der individuellen Lebens- und Arbeitsumstände gemeinsam, verschiedene Möglichkeiten auszuloten und Szenarien zu entwickeln. Entscheiden muss der Betroffene allerdings selbst.
Sie beschreiben die Digitalisierung als disruptiv und unumkehrbar. Wie sollte Ihrer Meinung nach eine kluge Digitalpolitik aussehen?
Zur Digitalisierung zählt unter anderem die Verbindung von Maschinen, Werkzeugen und IT-Systemen, also die Verknüpfung und Verfügbarmachung aller für das Unternehmen wichtiger Daten. Das bedeutet, dass wir genau verstehen müssen, was passiert. Eine kluge Digitalpolitik sollte vorausschauend, aber in gewisser Weise auch restringierend sein. Wir müssen auf Datenschutz, Datensicherheit und einen ethisch einwandfreien Umgang setzen. Es ist auch nicht sinnvoll alles zu digitalisieren, was sich digitalisieren lässt. Wir sollten uns nicht komplett beherrschen lassen.
Wie wichtig bleibt der Mensch als Erfolgsfaktor gerade in Bezug auf KI und Industrie 5.0?
Die Technik muss dem Menschen nutzen und nicht umgekehrt. Wir brauchen einen selbstkritischen Umgang mit den bisher angelernten Denk- und Managementmustern, die nicht mehr ausreichen die Komplexität der technischen Möglichkeiten zu erfassen und zu steuern.
Obwohl die Anfänge der Künstlichen Intelligenz fast hundert Jahre zurückliegen, stecken wir immer noch in den Kinderschuhen – und das trotz jahrzehntelanger Forschung. KI muss vor allem zuverlässiger und sicherer gegen Manipulationen werden. Zudem müssen KI-Systeme lernen ihre Entscheidungen dem Anwender zu erklären, damit sie nachvollzogen und die Arbeitsweise/-strukturen der KI besser erforscht werden können.
Als Konzernbeauftragte für digitale Bildung: Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie zukünftig als besonders relevant für die digitale Bildung in Unternehmen?
Heute entscheidet nicht nur das Wissen selbst über beruflichen und persönlichen Erfolg oder Misserfolg. Es sind vielmehr die sogenannten Schlüsselkompetenzen. Wir brauchen ein gesundes Verhältnis zwischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Besonders bei komplexen und aufwendigen, aber auch bei einfachen, stupiden Tätigkeiten könnte KI vermehrt eingesetzt werden.
Wie lässt sich die ältere Generation in die Digitalisierung integrieren?
In dem man ihnen die Angst nimmt, nicht mehr mitzukommen. Sie sind genauso Teil unserer Gesellschaft wie junge Menschen und aus unternehmerischer Sicht natürlich auch Kunden.
Als Aufsichtsratsmitglied sind Sie auch Vorbild für viele Frauen in der Tech-Branche.
Stellen Sie sich als Frau besonders auf den Prüfstand?
Ob Frauen besonders auf dem Prüfstand stehen, hängt auch von der persönlichen Einstellung ab. Ich entscheide selbst, ob ich mich auf den Prüfstand stellen lasse. Die Frauenquote ist sicherlich nicht die beste Lösung – aber sie kann helfen, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen. Trotzdem muss bei den Besetzungen von operativen Funktionen in Unternehmen die persönliche Eignung entscheidend sein und nicht das Geschlecht. Mir ist wichtig, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, seine Kompetenzen auszuschöpfen und die eigenen Potenziale zu erkennen. Aus meinem Verständnis von Gerechtigkeit und der Überzeugung, dass Frauen kein geringeres Potenzial haben als Männer. Nur in punkto Solidarität können wir Frauen von den Männern lernen. Frauen bieten sich untereinander leider nicht immer die Unterstützung an, die vonnöten wäre.
Wenn sich „Google“ nicht irrt, haben Sie vor nicht allzu langer Zeit Ihren 60. Geburtstag gefeiert. Für viele ein Anlass, das bisherige Leben noch einmal Revue passieren zu lassen. Bei welchen Erinnerungen drücken Sie die Wiederholtaste? Wo würden Sie vorspulen?
Ich bin kein rückwärtsgewandter Mensch und auch kein Typ, der sich zu sehr in der Vergangenheit bewegt. Wichtige Lebens- und Geschäftsentscheidungen werden aufgrund der jeweiligen Situation und Fakten getroffen. Es gibt mit Sicherheit Entscheidungen, die ich mit dem heutigen Wissen und Verständnis anders bewerten würde.
Die Aussage von Søren Kierkegaard: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“ bringt es wunderbar auf den Punkt.
In Ihrer Position braucht es neben Expertise und Mut vor allem jede Menge Disziplin. Können Sie loslassen, liebe Frau Kreusel? Und: Was braucht es, um Sie zum Blaumachen zu überreden?
Zum Blaumachen muss man mich nicht erst überreden, denn ich kann ohne Problem loslassen und mich dem Müßiggang hingeben. Daraus schöpfe ich Kraft und Motivation, um mich wieder mit Elan und Disziplin dem Alltag zu widmen.
Sie haben erwähnt, am Ende der Karriereleiter angekommen zu sein. Welche persönlichen Ziele haben Sie noch?
Die Karriereleiter im angestellten Verhältnis endet altersbedingt irgendwann, spätestens mit Eintritt in die Rente. Das heißt aber nicht, dass ich nicht mehr arbeiten und mich in die Gesellschaft einbringen will. Dafür bin ich viel zu wissbegierig und umtriebig.
Und wie genau wollen Sie sich einbringen?
Ich bin bereits Vorsitzende vom Hochschulrat der Frankfurt University of Applied Sciences und zudem im Kuratorium der Goethe Uni. Und ich kann mir durchaus vorstellen noch weitere Beirats- oder Aufsichtsratsmandate anzunehmen, wenn sich eine passende Möglichkeit ergibt.
Obendrein engagiere ich mich im Tierschutz und habe gerade als Sportschützin meine Waffensachkundeprüfung absolviert. Langweilig wird es mir nicht. Und dann habe ich ja noch meine Familie …
Würden Sie sich als Familienmensch bezeichnen?
Absolut. Auch wenn ich lange kein klassisches Familienmodell gelebt habe. Ich bin damals als alleinerziehende Mutter aus der DDR nach Westdeutschland gekommen, zu meinen Eltern, die schon länger hier waren. Das war Anfang der 80er. Für einen Partner hatte ich zwischen Job und Studium keine Zeit. Ohne die Unterstützung meiner Eltern wäre meine Karriere so nicht möglich gewesen. Meine Tochter ist längst erwachsen und eigenständig, wir telefonieren fast täglich.
Geheiratet habe ich relativ spät, obwohl mein Mann und ich uns inzwischen seit 20 Jahren kennen. Da war sie wieder, die Zeit… Meine Mutter ist inzwischen 90 und zum Glück noch sehr fit. Dennoch kümmern wir Geschwister uns um die Mama.
Letzte Frage: Was war der bedeutendste Rat, den Sie Ihrer Tochter mit auf den
(Karriere-)Weg gegeben haben?
Gradlinig zu bleiben! Das hatte mir auch damals mein Vater geraten. Und niemals erpressbar zu werden, indem man falsche Kompromisse eingeht. Es ist wichtig, ein Ziel zu haben und daran festzuhalten, selbst wenn es mal länger dauert. Umso schöner ist es, dieses Ziel zu erreichen.
Frau Kreusel, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Vita:
Petra Stefanie Kreusel, Jahrgang 1962, ist Senior Vice President, Customer & Public Relations, bei der Deutschen Telekom im Bereich Geschäftskunden/ Public Sector sowie Konzernbeauftragte für Digitale Bildung und Schule der Deutschen Telekom. Dazu ist sie seit 2013 Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Telekom AG (gewählt bis zur Hauptversammlung 2028). Frühere Stationen der gebürtigen Chemnitzerin waren unter anderem das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) und die Grundig AG in Fürth.