Klugen Köpfen kluge Fragen zu stellen, ist eine Kunst.
Mal provokant, aber stets charmant, fühlt Dr.-Ing. Katharina Knaisch mit viel Fingerspitzengefühl interessanten Persönlichkeiten auf den Zahn. Ein Interview über Erfolgsgeschichten, den Erfolgsfaktor Mensch und all das, was sich eben nicht googeln lässt.
Dr. Felix Zimmermann. Der selbstständige Unternehmensberater und Gründer der VOIKOS GmbH, der zuvor über 20 Jahre als CFO/CEO in börsennotierten Unternehmen tätig war, ist Experte für Strategie- und Führungskonzepte zu Nachhaltigkeit und ESG. Ein Gespräch über sinnstiftende Tätigkeiten, moderne Kunst und warum er ein Fan der heutigen Jugend ist.
Herr Dr. Zimmermann, Sie waren über 20 Jahre als CFO/CEO in börsennotierten Unternehmen tätig, zuletzt bei der TAKKT AG. Wieso haben Sie 2021 mit der Gründung von VOIKOS den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt?
Nach zwölf Jahren in der Gesamtverantwortung bei der TAKKT AG war es mir wichtig, den Generationswechsel zu ermöglichen, um die Führung sowie die weitere Strategieentwicklung und -umsetzung rechtzeitig in neue Hände zu legen. Auf der anderen Seite wollte ich gerne etwas komplett Neues machen. Ich wollte mich nicht darüber definieren, was ich beruflich in den letzten 25 Jahren gemacht habe, sondern darüber, dass ich einen Beitrag zu einem aktuellen und sehr dringenden Thema leiste.
Da das Thema Nachhaltigkeit bzw. ESG für mich besonders wichtig ist, habe ich einen wesentlichen Teil meiner Aktivitäten in diesem Gebiet aufgebaut. Dazu zählt neben der Annahme eines Lehrauftrages an der Universität Freiburg auch die Gründung der VOIKOS GmbH als Beratungsgesellschaft mit dem Fokus auf Strategie- und Führungsfragen rund um ESG. Hier besteht großer Handlungsbedarf. Darüber hinaus engagiere ich mich als Stiftungs- und Beirat.
Wieso wird eine Unternehmensstrategie, in der die ESG-Strategie integriert ist, zum Wettbewerbsvorteil?
Die Historie zeigt, dass immer wieder bestimmte Themen die Strategie und die Führung von Unternehmen prägen und zu einem Paradigmenwechsel führen. Unternehmen müssen jetzt erkennen, dass sie ohne eine angemessene Nachhaltigkeitsstrategie schlicht nicht mehr erfolgreich sein können. Es ist klar zu sehen, dass die Unternehmen, die ESG bereits zum integralen Bestandteil ihrer Strategie gemacht haben, stärker wachsen sowie profitabler und resilienter sind als diejenigen Unternehmen, die ESG nur als Reportinganforderung verstehen.
Dies liegt insbesondere daran, dass im Bereich Nachhaltigkeit ein großes Wertschöpfungspotenzial liegt, wenn man seinen Kunden Lösungen und Produkte anbietet, die ihnen wiederum helfen, nachhaltiger zu wirtschaften. Und dieses Potenzial kann nur gehoben werden, wenn Nachhaltigkeit auf allen Ebenen der Strategieentwicklung und -umsetzung zentraler Bestandteil ist.
Unternehmen, die halbherzig an das Thema herangehen und ausschließlich die Mindestanforderungen der Berichterstattung erfüllen, aber nicht ihre Strategie an die neuen Rahmenbedingungen anpassen, können dieses Potenzial nicht heben. In solchen Fällen ist zum Beispiel zu beobachten, dass diese Unternehmen zur „Lösung des Problems Nachhaltigkeit“ zunächst einen Nachhaltigkeitsbeauftragten von extern einstellen und ihm bzw. ihr das Thema übertragen. Das geht selten gut, da diese Personen in der Regel spürbare Veränderungen herbeiführen wollen, aber von der bestehenden Mannschaft ausgebremst werden.
Und das bedeutet?
Dass der Mensch auch hier den Unterschied macht und es sich unverändert lohnt, in die eigenen Mitarbeiter – auch im Bereich Nachhaltigkeit – kontinuierlich zu investieren. Das muss ohnehin die oberste Aufgabe der Geschäftsleitung und der Eigentümer sein. Dabei sollte nicht nur die Aus- oder Weiterbildung im Vordergrund stehen. Ebenso ist die Anerkennung der Leistung, gelebtes Vertrauen und die Ermutigung zu unternehmerischem Handeln und zu Veränderungen von Bedeutung.
Das zahlt sich auch beim Thema ESG aus. Die Unternehmen, die ihre fähigsten Leute aus den eigenen Reihen zur Bewältigung dieser enormen Herausforderung nehmen und sie entsprechend aus- und weiterbilden, erzielen die besten Ergebnisse. Hier sind meines Erachtens besonders Familienunternehmen sehr stark positioniert, da sie genau das können: Mitarbeitende an sich binden, sie kompetent und praxisnah ausbilden und ihnen entsprechende Perspektiven mit neuen Herausforderungen ermöglichen.
Das Thema ESG ist aus Sicht einer Personalberatung ebenfalls ein wichtiger Punkt. Sind nachhaltig agierende Arbeitgeber für Kandidaten interessanter?
Absolut! ESG ist für die Arbeitgebermarke ein unverzichtbarer Bestandteil. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in Vorstellungsgesprächen die Kandidatinnen und Kandidaten nicht nur nach den anstehenden Aufgaben und den Geschäftszahlen gefragt haben, sondern auch nach der Nachhaltigkeitsstrategie, nach konkreten Zielen und Maßnahmen. Wer sich in diesem Punkt weder auskunftsfreudig noch glaubwürdig zeigt, kann die exzellenten Kandidatinnen und Kandidaten nicht gewinnen. Das gilt übrigens für Auszubildende, Führungskräfte, Geschäftsführer und Beiräte in gleichem Maße.
In Ihrem Buch „ESG-Made in Germany: Nachhaltigkeit als Unternehmensstrategie für Familienunternehmen“ schreiben Sie im Vorwort allerdings, dass wir im Augenblick dringlichere Themen haben als ESG. Was steht denn oben auf der Agenda?
Die aktuell schwache Konjunktur, hohe Energiekosten und die Folgen einer bereits langen Phase der Wachstumsschwäche. Außerdem beschäftigt die massive Unsicherheit durch die Ukrainekrise sowie die Konflikte im Nahen Osten die Unternehmen sehr.
Sie sollten dabei jedoch nicht aus dem Blick verlieren, dass das langfristige Thema ESG nicht verschwinden wird und eigentlich keinen zeitlichen Aufschub verträgt. Mir ist vollkommen klar, dass die Kapazitäten in den Unternehmen knapp sind, aber wir müssen jetzt handeln, um unserer Verantwortung gegenüber der nächsten Generation gerecht zu werden. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.
Haben Sie darum an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg einen Lehrauftrag zum Thema „Unternehmensführung und ESG“ übernommen, weil es Ihnen wichtig ist, Ihr Wissen zu teilen?
Ich muss bei dieser Antwort ein wenig ausholen: Kofi Annan, der ehemalige Generalsekretär der UNO, hatte schnell erkannt, dass beim Thema Nachhaltigkeit Unternehmen nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein müssen. Er hat aber auch erkannt, dass ohne Bildung die notwendige Verhaltensänderung von uns allen nicht erreicht werden kann. Und ohne Verhaltensänderung keine erfolgreiche Transformation unserer Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit.
Ich bin überzeugt, dass das Thema Bildung ein sehr mächtiger Transformationsriemen ist. Deshalb will ich auch hier einen Beitrag dazu leisten, dass beispielsweise Studierende an der Universität einen fundierten Zugang zu dem Thema finden. Unabhängig davon macht es mir Spaß, mit jungen Menschen zu arbeiten. Ich teile an der Universität aber nicht nur mein Wissen und meine praktischen Erfahrungen, sondern ich lerne selbst eine ganze Menge dazu. Sei es bei der Vorbereitung des Seminars, der Korrektur der Seminararbeiten oder bei den Fragen der Studierenden, die einen durchaus immer wieder zum kritischen Nachdenken bringen.
Apropos Fragen stellen: Führungskräfte, die die richtigen Fragen stellen, können laut Studien das Engagement im Unternehmen um mehr als 20 Prozent steigern. Wie sieht eine „neugierige Führung“ aus?
Die Halbwertszeit des Wissens wird immer kürzer und die Notwendigkeit, sich neues Wissen anzueignen, dementsprechend wichtiger. Es ist riskant, sich in unserer schnelllebigen Zeit allein auf dem angeeigneten Wissen der Vergangenheit auszuruhen. Insofern ist man gut beraten, ständig neugierig neue Entwicklungen und Veränderungen zu hinterfragen, um sie zu verstehen.
Leider haben die meisten Führungskräfte kaum die Möglichkeit, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, da sie zu sehr im Tagesgeschäft eingebunden sind. Doch wir alle müssen uns diesen Freiraum schaffen, um zum Beispiel zu begreifen, dass sich das Klima und die Umwelt im Augenblick sehr schnell und in großen Teilen unumkehrbar verändern und wir auf diese Entwicklung jetzt Antworten finden müssen. Das können übrigens die jungen Leute häufig besser als die ältere Generation, da sie unbefangener an das Thema rangehen.
Haben Sie Ihr Buch darum der Jugend von heute gewidmet, weil Sie ihnen „viel zutrauen“, wie Sie es selbst formulieren? Und woher kommt dieses Vertrauen?
Ein „Bashing“ gegenüber den jungen Leuten halte ich weder für angebracht noch für angemessen. Ich finde es mühselig, wenn der heutigen Jugend vorgeworfen wird, dass sie nicht leistungsfähig ist, unzureichend ausgebildet ist, sich ausruht und in ihren eigenen Blasen lebt und somit den anstehenden Herausforderungen nicht gewachsen sei. Ich nehme vielmehr das Gegenteil wahr. An der Universität sind die Studierenden beispielsweise sehr engagiert, kompetent und leistungsbereit. Und auch bei meinen Kindern und in ihrem Umfeld sehe ich sehr viel Neugierde. Die merken sehr wohl, dass Handlungsbedarf bei Thema Nachhaltigkeit besteht, und sie wollen etwas zur Zukunftssicherung beitragen. Mein Ziel ist es, diese junge Generation weiter dabei zu unterstützen und zu motivieren, dass sie sich mit einem angemessenen Selbstvertrauen genau jene Neugierde erhält, Kompetenz aufbaut und Verantwortung für die Gestaltung ihrer Zukunft übernimmt.
Wenn Sie nicht gerade arbeiten oder unterrichten, kümmern Sie sich als Vorsitzender um die Adolf Hölzel Stiftung. Wie viel Kunstkenner steckt in Dr. Zimmermann?
Das ist ein abendfüllendes Thema, da werde ich leidenschaftlich. Das, was Robert Bosch und Carl Benz für die Automobilindustrie waren, ist Adolf Hölzel für die Kunst. Ein Wegbereiter der Moderne. Er war ein sein bedeutender Künstler und Lehrer in Süddeutschland, dessen Lebenswerk weit darüber hinaus die Kunstszene prägte.
Mich fasziniert an Hölzel, dass er sich mit seiner Kunst gegen den damaligen Mainstream stellte. Er hat den Weg in die Abstraktion aufgezeigt und hat damit an der Kunstakademie in Stuttgart im wahrsten Sinne des Wortes gegen den „Strich“ gebürstet. Es war Adolf Hölzel, der die abstrakte Malerei in Deutschland salonfähig gemacht hat. Er war seiner Zeit weit voraus, wird aber diesbezüglich noch immer sehr unterschätzt. Solche Visionäre brauchen wir auch im Bereich Nachhaltigkeit!
Mit dabei zu helfen, Hölzels tatsächliche Bedeutung für die Lehre und Kunst sichtbar zu machen, ist eine wunderbare Aufgabe. Dabei hilft uns auch das renovierte und um eine Kunstschule erweiterte Hölzel-Haus in Stuttgart Degerloch, welches eines der wenigen verbliebenen Künstlerhäuser hier in der Region ist. Das ist für uns der „Tatort der Moderne“.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Wer im Sternzeichen Krebs geboren ist, gilt als intuitiv, kreativ und sensibel. In welchen Eigenschaften sind Sie ein typischer Krebs?
Diese drei genannten Eigenschaften charakterisieren mich schon ganz treffend. Ich glaube, dass ich sehr intuitiv und auch kreativ bin und ja, am Ende des Tages auch sensibel. Letzteres zeige ich allerdings in der Regel nicht nach außen, sondern mache das mit mir selbst aus. Ich habe erst jüngst wieder ein Assessment gemacht und abermals bestätigt bekommen, dass es immer auch widerstrebende Eigenschaften innerhalb der eignen Persönlichkeit gibt, mit denen man umgehen muss. Hier stand und stehe ich immer mal wieder mit mir selbst im Konflikt.
Bei welchen Themen?
Beruflich zum Beispiel in der Führungsaufgabe. Hier entsteht für mich der Spagat zwischen einer sehr ziel- und ergebnisorientieren Orientierung und dem Anspruch, sich gleichzeitig um die Belange der Mitarbeitenden zu kümmern, denn sie sind keine Maschinen oder Schachfiguren. Wenn man verantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg ist und einem gleichzeitig das Thema „Care“ am Herzen liegt, um es mal neudeutsch zu formulieren, kommt man immer wieder in Konfliktsituationen, die man für sich lösen muss. Dabei ist es sehr wichtig, dass man sich dieses Konfliktes bewusst ist, sonst kann man keine langfristig sinnvollen Lösungen für die Mitarbeitenden und das Unternehmen finden.
Aber es ist ihnen ja scheinbar gelungen, sonst wären Sie nicht heute hier …
Es ist wohl in der Mehrzahl der Fälle gelungen, aber auch nicht immer. Insbesondere die nicht gelungenen Fälle machen einen unzufrieden. Und da sind wir wieder bei der Sensibilität.
Herr Dr. Zimmermann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Vita:
Dr. Felix Zimmermann war über 20 Jahre als CFO / CEO in börsennotierten Unternehmen tätig, die mehrheitlich im Eigentum eines Familienunternehmens lagen. Bis 2021 war er CEO der TAKKT AG in Stuttgart. Seit 2021 ist er als Gründer der VOIKOS GmbH selbstständiger Unternehmensberater und legt seinen Fokus auf Strategie- und Führungskonzepte zu Nachhaltigkeit und ESG. 2023 veröffentlichte er das Buch „ESG-Made in Germany: Nachhaltigkeit als Unternehmensstrategie für Familienunternehmen“. Sein Wissen teilt er unter anderem an der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg im Rahmen seines Lehrauftrags zum Thema „Unternehmensführung und ESG“. Außerdem ist er als Bei- und Stiftungsrat aktiv.