Wir freuen uns, in unserer neuen Ausgabe der Serie ERFOLGSGESCHICHTEN Herrn Dr. Roman Glaser zum Interview zu begrüßen.
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 10-jährigen Jubiläum als Genossenschaftspräsident. Erinnern Sie sich noch an den schönsten und emotionalsten Moment Ihrer bisherigen Amtszeit?
Ich würde hier gerne differenzieren zwischen schön und emotional. Anlässlich des 150-jährigen Bestehens unseres BWGV haben wir 2013 eine Stiftung zur Förderung der genossenschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit gegründet: die GESTE Baden-Württemberg. Die GESTE unterstützt dabei nicht nur einzelne Projekte mit Genossenschaften, sondern auch deren Entstehen, und das weltweit in mehr als 30 Ländern. Wie auch in Mexiko. 2017 war ich persönlich dort. Es hat mich unheimlich gereizt, mit eigenen Augen zu sehen, wie die Idee einer Genossenschaft in einem Schwellenland umgesetzt wird. Wenn ich an dieses Treffen zurückdenke, bekomme ich heute noch Gänsehaut. Obwohl diese Menschen aus teils bitterarmen Verhältnissen stammen, sind sie Hunderte von Kilometern angereist, nur um uns zu danken. Sie sagten: „Wenn wir keine Genossenschaft gegründet hätten, hätten wir keine Existenzgrundlage.“
Zu erleben, welche weltweite Relevanz so ein wirtschaftlicher und sozialer Zusammenschluss hat, war sehr bewegend. Das ging unter die Haut. Deshalb habe ich eingangs den Unterschied formuliert. Das war nicht mein schönstes Ereignis, aber das emotionalste.
Waren Sie noch einmal in Mexiko?
Leider nein, aber wir sind bei den einzelnen Projekten immer auf Stand. Gerade diese Genossenschaft in Mexiko entwickelt sich gut. Diese Menschen haben eine Perspektive. Das ist großartig.
Fehlen noch die schönen Momente. Wann macht Ihr Amt so richtig Spaß?
Ich freue mich vor allen Dingen, wenn genossenschaftliche Neugründungen zum Erfolg führen. Gerade in neuen Bereichen. Wir sind mittlerweile in 50 Branchen organisiert. Und jedes neu umgesetzte Projekt lässt mein Herz hüpfen.
Wo Licht ist, gibt’s aber auch Schatten …
Ja, das räume ich unumwunden ein. In meinen Anfangsjahren gehörte es zu meinen Aufgaben, gleich zwei unserer Standorte aufzulösen: das Raiffeisenhaus in Karlsruhe sowie die Geno-Akademie in Hohenheim. Wie der Name BWGV schon sagt, ist unser Verband entstanden aus dem Badischen Genossenschaftsverband und dem Württembergischen Genossenschaftsverband. Und jeder der beiden Verbände hat zwei Standorte in die Fusion miteingebracht. Unsere Akademie-Aktivitäten zu bündeln, war definitiv eine Win-Win-Win-Situation für Stuttgart, Karlsruhe und für unsere Genossenschaften – und daher die richtige Entscheidung im Sinne des BWGV.
Aber leider gab es auch Mitarbeitende, die von diesem Ortswechsel betroffen waren – wie etwa das Küchenpersonal der Akademie-Kantine. Ich habe mit jedem Einzelnen das Gespräch gesucht, um zu hören, wie ich helfen könnte. Ich glaube, dass mir dies hoch angerechnet wurde.
Sie nehmen mir die nächste Frage vorneweg. Wenn es gut läuft, braucht es keinen Präsidenten, sondern dann, wenn es eben mal nicht so gut läuft. Was macht einen guten Präsidenten aus?
Ich will mal ein Stichwort geben: Authentizität. Zu zeigen, dass man auch Mensch ist und dessen ungeachtet Entscheidungen herbeiführen kann, also eine Entscheidung im Wortsinne, nur darauf kommt es an. Und ich versuche, lösungsorientiert zu agieren und dabei die eigene Erfahrung miteinzubringen, aber ohne gleich den Besserwisser zu spielen. Das ist oft ein schmaler Grat.
Klingt, als seien Sie ein Chef „zum Anfassen“ – und auch jemand, der flache Hierarchien bevorzugt?
Das lässt sich so nicht pauschalisieren. Hierarchien müssen sein, um Beschlüsse herbeiführen zu können. Unser Verband hat vier große Aufgabenfelder: Beratung, Bildung, Interessenvertretung und Prüfung. Bei einem Gespräch auf Ministerebene braucht es nun mal einen Präsidenten, der die genossenschaftlichen Interessen vertritt. Ich möchte mit dieser Rolle nicht kokettieren, aber ich scheue mich auch nicht, sie anzunehmen.
Nichtsdestotrotz sollten Hierarchien nicht den täglichen Umgang prägen. Wenn ich mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter im Gespräch bin, braucht es keine Präsidentenrolle, dann bin ich Zuhörer oder Ratgeber. Ich war mir noch nie zu fein, um nicht etwa auch mit einem Referenten in einem Ministerium zu sprechen.
Oder mit dem Küchenpersonal …
Ja, warum auch nicht?! Natürlich darf man die Verantwortung seiner Position nicht vernachlässigen. Aber wenn ich am Samstagmorgen zum Bäcker gehe, bin ich einfach der Roman oder der Herr Glaser, und weder in früheren Zeiten Bankvorstand noch heute Präsident. Diese Denke ist mir unglaublich wichtig. Funktionen und Rollen verschwinden irgendwann, was zurückbleibt aber, ist der Mensch.
Dabei steht der Begriff „es menschelt“ häufig synonym für Schwäche. Wieso ist „Menschlichkeit“ dennoch mit der wichtigste Erfolgsfaktor?
Ich habe den Begriff „menschelt“ zum ersten Mal so richtig wahrgenommen, als mich mein Doktorvater in die „Freiheit“ entlassen hatte. Ich hatte ihm gegenüber als genossenschaftliches Urgestein den Berufswunsch geäußert, Bankvorstand werden zu wollen. Mein Doktorvater entgegnete damals: „Aber merken Sie sich eines: Egal, wo Sie hinkommen: es menschelt!“ Und das hat mich seither nie mehr losgelassen. Gut so, denn wir sind auf dieser irdischen Welt schließlich nicht nur zum Selbstzweck. Ich möchte niemanden beurteilen oder gar verurteilen, aber wenn ich bei einem Gesprächspartner merke, dass ihm jegliche menschliche Komponente fehlt, dann breche ich das Gespräch ab.
Sie haben Ihre Kinder erwähnt. Welchen väterlichen Rat haben Sie Ihren drei Töchtern auf deren Lebensweg mitgegeben?
Meine Frau und ich haben bei der Erziehung neben einem offenen und ehrlichen Umgang miteinander vor allem versucht, zwei Dinge zu vermitteln: Bildung und Sinnhaftigkeit. Meine Töchter sollen das tun, was ihnen Spaß macht, dann bringen sie Leistung, sind motiviert, sich weiterzubilden. Ich wünsche mir, dass sie über den Broterwerb etwas Sinnstiftendes finden.
Die nächste Frage ist augenzwinkernd gemeint, aber sie passt wunderbar hier rein. Sie haben eine Frau, drei Töchter, zwei Enkelinnen und sind damit ein echter Frauenkenner. Die Unternehmensebene ist männlich geprägt. Was können Männer gerade in der Führungsetage von Frauen lernen?
Meine Frau, die mir richtigerweise gerne und oft den Spiegel vorhält, würde sagen, dass es in manchen Situationen hilfreich wäre, Gefühle zuzulassen, Dinge mit mehr emotionalem Bewusstsein zu betrachten. Ich bin eher der Kopfmensch und tue mir schwer damit, über Gefühle zu sprechen.
Und was sagt der Frauenkenner zur Frauenquote in deutschen Unternehmen?
Auf die Gefahr hin, dass ich mit dieser Meinung anecke: Von der Frauenquote halte ich nichts! Wissen Sie, warum? Eine Frau hat es nicht verdient, über eine Quote bewertet zu werden. Ich weiß sehr wohl über den Stellenwert der Diskussion, dass man Veränderung manchmal nur erreicht, wenn man über die Quote geht. Aber ich lebe in einem Frauenhaushalt und habe genügend Erfahrung mit weiblichen Führungskräften. Und daher sage ich, dass so eine Regelung den Frauen nicht gerecht wird. Das schmälert ihr Können, ihre Qualifikation.
Da mögen mir jetzt alle Experten widersprechen: Aber wer heute noch meint, gesellschaftliche Entwicklungen und Führungspersönlichkeiten über Quoten regeln zu müssen, ist ein Auslaufmodell. Lassen Sie mich hierzu gerne Johann Wolfgang von Goethe zitieren: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage.“
Genossenschaften gelten als traditionsreich. Was bedeutet Tradition für Sie?
Ich halte mich da an diesen berühmten Vers von Thomas Morus: „Tradition ist nicht das Erhalten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme“. Das trifft es auf den Punkt. Der Sinn einer Tradition erkaltet für mich, wenn die Tradition um ihrer selbst willen gepflegt wird. Wir als Genossenschaften gelten in manchen Kreisen zum Teil als verstaubt. Und selbstkritisch betrachtet, ist da schon was dran. Es gelingt uns noch nicht genügend zu vermitteln, warum Genossenschaften zeitlos spannend sind.
Das Wort Tradition wird aus dem Wortstamm hergeleitet. Und Herkunft hat für mich hier die stärkere Aussage. Zukunft braucht Herkunft. Ich finde es wichtig zu wissen, wo man herkommt, wo die eigenen Wurzeln liegen. In diesem Kontext haben Traditionen einen Sinn.
Wenn wir über Herkunft sprechen: Was bedeutet Ihnen Heimat?
Alles! Ich weiß, dass dieser Begriff Heimat von vielen auch kritisch gesehen wird, weil er von bestimmten politischen Gruppen für sich reklamiert wurde. Aber bloß, weil ein paar Fanatiker diese Bezeichnung für sich nutzen, werde ich die Wertvorstellung von Heimat nicht für mich streichen. Heimat ist für mich etwas Stabilisierendes. Heimat ist ein Ort. Heimat ist die Familie. Heimat ist auch ein berufliches Umfeld. Heimat ist das, was mich hält und trägt.
Wenn wir über Rückhalt reden: Sie repräsentieren als BWGV-Präsident fast vier Millionen Mitglieder. Die Erwartungshaltung an Sie ist dementsprechend riesig. Wie gehen Sie mit diesem Druck um?
Zunächst einmal habe ich es abgelegt, allen und jedem gerecht werden zu wollen. Du kannst nicht immer „Everybody’s Darling“ sein, auch wenn du dich in manchen Situationen ziemlich einsam fühlst. Was mir Kraft gibt, neben dem Rückhalt in meiner Familie natürlich, ist auch ein gewisses Gottvertrauen. Das kommuniziere ich ganz offen. Ein kurzes Stoßgebet gen Himmel und eine Nacht darüber schlafen, das wirkt Wunder. Und am nächsten Morgen geht es weiter. Oder ein Spiel beim Sportclub Freiburg. Ein Besuch im Stadion ist der perfekte Ausgleich.
Sie sind Fußball-Fan, so richtig mit Fan-Schal und Trikot?
Und mit zwei Dauerkarten! Ich gehe vornehmlich mit meinen Schwiegersöhnen oder mit Freunden und Wegbegleitern ins Stadion. Dieser Nachmittag genügt für mich, um komplett abzuschalten. Der SC ist eine tolle Mannschaft, allen voran Trainer Christian Streich. Ich finde Christian Streich als Persönlichkeit sowieso hochinteressant. Es ist bewundernswert, wie dieser Mann mit Druck umgeht. Immer nur Ein-Jahres-Verträge. Immer diesen absoluten Sieges-Willen. Dazu verkörpert er eine immense Menschlichkeit und ebenso eine gewisse Demut. Er ist nie unfair und sehr gebildet.
Im Fußball kommt der leidenschaftliche Löwe hindurch, nicht wahr? Sie sind im August geboren, also im Sternbild des „König der Tiere“. Löwen gelten als (führungs-)stark, gerecht, begeisterungsfähig und großzügig. Aber Löwen können auch brüllen. Wie viel Löwe steckt in Dr. Glaser?
Wenn ich ehrlich bin, fresse ich viel zu viel in mich hinein. Still und leise und innerlich brodelnd. Natürlich gibt es Momente, in denen mir der Kragen platzt, und ja, dann kann ich brüllen. Aber das passiert selten. Ich kann mich im Laufe meines Berufslebens vielleicht an zwei Situationen erinnern, in denen ich wirklich laut wurde und auch nur deshalb, weil ich mich sehr verletzt gefühlt habe.
Viele empfinden es als befreiend, mal so richtig Dampf abzulassen. Dann hat man sich seinen Zorn von der Seele geschrien, kann wieder bei null starten. Ich tue mir damit schwer. Ich bin durchaus auch nachtragend. Wenn mich jemand enttäuscht oder verletzt, kann ich dies nicht so einfach verzeihen. Es dauert, bis ich neues Vertrauen fasse. Vor allem Intriganz halte ich für ein mieses Spiel. Da bin ich stur und mache zu.
Gibt es denn etwas, was Sie sich rückblickend selbst vorwerfen?
Also wenn ich behaupten würde, ich habe in meinem bisherigen Berufsleben alles richtig gemacht, wäre es eine glatte Lüge. Ich kann mich an eine Situation erinnern, da wurde es von meiner Entscheidung als Bankvorstand abhängig gemacht, dass wir einem mittelständischen Unternehmen – wie sagt man so neudeutsch – den Hahn abdrehen mussten. Ich wusste sehr wohl, dass davon 80 Arbeitsplätze betroffen waren. Diese Entscheidung habe ich wochenlang reflektiert. War das richtig? Hatte ich einen Fakt nicht bedacht? Ich kam dann zu dem ehrlichen Ergebnis, dass ich hätte anders entscheiden können.
Das würde mir heute nicht mehr passieren. Das bohrt noch heute in mir.
Ende des Jahres gehen Sie in den wohlverdienten Ruhestand. Sind Sie dankbar, solche Entscheidungen nicht mehr treffen zu müssen?
Ach, alles hat seine Zeit im Leben. Und das ist gut so. Ich habe die Entscheidung, aus dem Amt auszuscheiden, bereits vor drei Jahren getroffen. Ich wollte den Zeitpunkt selbst wählen und mich nicht bitten lassen müssen. Jetzt konzentriere ich mich noch darauf, alles Begonnene zu Ende zu bringen. Dann beschäftigte ich mich mit meiner künftigen Lebensgestaltung.
Und Sie können wirklich loslassen?
Ich habe jetzt alle Möglichkeiten gehabt, meine Vorstellungen einzubringen. Und wenn ich weg bin, bin ich weg. Ich werde definitiv nicht von einem prall gefüllten, fremdbestimmten Kalender in einen genau solchen fliehen. Ich sage bewusst fliehen, das werde ich nicht tun. Aber ich werde auch nicht zu Hause sitzen und die Beine hochlegen. Sondern mich ehrenamtlich engagieren, etwas Sinnstiftendes tun.
Würden Sie für uns noch ein letztes, ganz persönliches Fazit ziehen?
Ich bin einfach dankbar für all das, was ich erleben durfte. Kurz gesagt: Ich hatte in meinem Leben saumäßig viel Glück!
Herr Dr. Glaser, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Vita:
Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), repräsentiert die rund 750 Genossenschaften im Südwesten mit knapp vier Millionen Mitgliedern. Der BWGV-Präsident leitete nach verschiedenen Tätigkeiten in der genossenschaftlichen FinanzGruppe von 2002 bis 2012 den Vorstand der ehemaligen Volksbank Baden-Baden/Rastatt.
Seit Oktober 2012 ist Glaser Mitglied des BWGV-Vorstands, seit Januar 2013 dessen Präsident.
Der promovierte Diplom-Ökonom ist verheiratet und hat drei erwachsene Töchter. Er lebt mit seiner Familie im mittelbadischen Ottersweier.