Klugen Köpfen kluge Fragen zu stellen, ist eine Kunst.
Mal provokant, aber stets charmant, fühlt Dr.-Ing. Katharina Knaisch mit viel Fingerspitzengefühl interessanten Persönlichkeiten auf den Zahn. Ein Interview über Erfolgsgeschichten, den Erfolgsfaktor Mensch und all das, was sich eben nicht googeln lässt.
Ihr aktueller Gesprächs-Gast: Klaus F. Jaenecke. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Hansgrohe SE ist zudem Vorstandsvorsitzender von ArMiD, (Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V.) und Aufsichtsratsvorsitzender der Ringmetall SE – kurzum ein Business- Allrounder, ein Kosmopolit und obendrein ein leidenschaftlicher Brückenbauer.
Herr Jaenecke, seit 2014 gehören Sie zum Aufsichtsrat der Hansgrohe SE, übernahmen ein Jahr später schließlich den Vorsitz. Welches Gefühl hat bei Ihrem Amtsantritt überwogen: die Vorfreude auf die Herausforderung oder der Respekt vor dieser Verantwortung?
Ich würde sagen, Spannung trifft es am besten. Die Situation vor knapp zehn Jahren war durch eine zunehmende Polarisierung zwischen den Eigentümern geprägt. Da prallten, und ich wähle diesen Begriff mit Bedacht, regelrecht zwei Kulturen aufeinander. Auf der einen Seite ein sehr stark Shareholder Value getriebenes Bild des Mehrheitsaktionärs der amerikanischen Masco Corporation aus Michigan, auf der anderen Seite mit der Familie Grohe, die Gründer eines klassischen, inhabergeführten, mittelständischen Unternehmens aus dem Schwarzwald. Es ging für mich zunächst einmal um grundlegende Fragen: Wie gehe ich damit um? Was lässt sich machen? Was sollte man tun? Zunächst nur einfaches Aufsichtsratsmitglied zu sein, war ein schönes Warmlaufen. Ich hatte ein Jahr Zeit, das Unternehmen zu verstehen, es für mich begreifbar zu machen. Und Respekt habe ich vor diesen beiden traditionsreichen Unternehmen nach wie vor.
Sie haben den Spagat zwischen diesen Welten beschrieben, dem börsennotierten US-Konzern und eben jenem Traditionsunternehmen aus dem 4.000-Seelendorf Schiltach. Ist genau diese Symbiose das Erfolgsgeheimnis von Hansgrohe?
Absolut! Hansgrohe läuft immer dann hervorragend, wenn sich eine Symbiose zwischen diesen beiden Charakteren herstellen lässt. Diese Verbindung, das ist es, was für mich die Einzigartigkeit von Hansgrohe ausmacht. Der Erfolgsgarant sozusagen. Dazu muss man wissen, dass diese Firmen sowieso eine gewisse kulturelle Ähnlichkeit haben. Der Gründer von Masco war ein armenischer Flüchtling, ein Tüftler wie Hans Grohe. Über diese Kultur des Erfindens haben diese Unternehmen ursprünglich zueinander gefunden. Dennoch gibt es gerade in Punkten, wie dem rigorosen Einfordern von quantitativen Zielen, sehr unterschiedliche Auffassungen. Und da komme ich ins Spiel.
Eine qualitative Aufgabe ist es, Themen wie Qualitätsprodukte, Design, Innovation perspektivisch zu gestalten und mit dem o.a. zu verheiraten. Das ist wie in einer Ehe. Wenn es funktioniert, sind alle glücklich, aber zwischendurch kracht es eben auch mal. Also wenn Sie mich fragen, wie ich meinen Job beschreiben würde: Ich bin ein Brückenbauer. Ein Brückenbauer zwischen diesen beiden Welten.
Doch mit Symbiose allein ist es nicht getan. Wie gelingt es Hansgrohe, sich als Trendsetter im Bereich Bäder-Ausstattung immer wieder neu zu erfinden?
Menschen! Alles andere lässt sich ausblenden. Das, was ein erfolgreiches Unternehmen von einem weniger erfolgreichen Unternehmen differenziert, ist die kulturelle Geschlossenheit. Diese gelebten Werte bei Hansgrohe, insbesondere über die letzten Jahre hinweg, haben sicherlich maßgeblich dazu beigetragen, dass wir Talente gewonnen und gefördert haben. Diese traditionelle Bodenständigkeit, die gerade in Baden-Württemberg viele weltweit erfolgreiche Unternehmen auszeichnet, hat einen großen Anteil an der Innovationskraft des Unternehmens. Wir bei Hansgrohe haben beispielsweise etwa 18.000 Patente und Schutzrechte am Laufen. Wir sind nicht flashy, wir sind nicht kurzfristig am Erfolg interessiert. Das wollen wir auch gar nicht sein.
Der entscheidende Faktor ist hier der Mensch. Menschen, die zukunftsorientiert denken. Diese Dynamik muss immer wieder erneuert und nach vorne gebracht werden. Ein Aufsichtsrat hat aufgrund der „Flughöhe“, mit der man unterwegs sein muss, eine andere Perspektive, all dies gesamtheitlich zu betrachten.
Aufsichtsrat ist ein gutes Stichwort. Aufsichtsrat setzt sich zusammen aus den Worten „Aufsicht“ und „Rat“. Wie leben Sie diese Rolle?
Die Definition einer Aufsichtsperson entstand ja aus dem ursprünglichen Verständnis der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, nämlich als preußischer Staatskommissar. Eben um im Entstehen der Kapitalmärkte einen Missbrauch zu verhindern. Es ist ein rückwärtsgewandtes Thema. Bewegt sich das Unternehmen innerhalb der regulatorischen Gesetze oder internen Vorgaben? Compliance ist in der Regel nur im Nachhinein festzustellen.
Rat sehe ich sehr stark als perspektivengebend dahingehend, wie ein Unternehmen seine Werte angeht oder die Märkte. Vieles wird beispielsweise noch zu lokal betrachtet. Ostafrika ist solch ein Thema. Das sind Märkte, die vielleicht erst in 20 Jahren für uns relevant sind. Investitionen schmälern möglicherweise die Ertragskraft von heute, sind aber langfristig entscheidend. Ich bin als Aufsichtsrat häufig in Asien unterwegs, weil hier die demographischen Faktoren sehr für einen zunehmenden Markt an unseren Produkten sprechen.
Das ist der Rat, den ein Aufsichtsrat geben sollte und geben kann: über den Tellerrand zu sehen. Die richtigen Fragen zu stellen. Und um noch einmal auf den Anfangspunkt zurückzukommen: Die Menschen sind entscheidend. Wenn der Aufsichtsrat sich keine persönliche Meinung dazu bildet, welche Fähigkeiten im Unternehmen sitzen, nimmt er seine Ratgeberfunktion nicht vollumfänglich wahr.
Das klingt zeitintensiv. Und es ist längst nicht Ihr einziges Amt. Schalten Sie zwischendurch denn auch mal ab?
Also ich bin definitiv kein digitaler Mensch in dem Sinne, dass ich arbeite und abschalte. Spätestens vor 30 Jahren mit dem Beginn meiner Selbstständigkeit hat das aufgehört. Das geht seither fließend ineinander über. Entscheidend ist es, für sich selbst die richtige Dosis zu finden. Durch Hansgrohe bin ich dem Radsport nähergekommen. Wir sponsern ein Team und da bleibt es als Aufsichtsrat nicht aus, sich mit der Fragestellung des Radsports und dessen Reputation zu beschäftigen. Seitdem bin regelmäßig auf meinem Gravel-Bike unterwegs, und da entspanne ich herrlich. Einen zweiten Effekt des Abschaltens (zeigt auf die Bücherwand hinter sich, Anm. der Red.) sehen Sie hinter mir. Ich bin ein Fan von Kindle, aber ein Buch in die Hand zu nehmen, das hat für mich noch mal ein anderes sinnliches Vergnügen. All die Bücher, die hier quer liegen, die wollen noch gelesen werden.
Und was wiederum treibt Sie immer noch an?
Da bin ich sehr nahe an Alex Manoogian, dem Gründer von Masco. Er hat einst so treffend formuliert: „Gib dich nicht mit Durchschnittlichkeit zufrieden. Strebe nach Vorzüglichkeit.“ Ich bin niemand, der die nächsten 20 Jahre akribisch seine Zukunft plant. Das wäre in meinem Alter auch ein wenig fahrlässig. Aber mir ist es wichtig, mir meine Agilität zu bewahren, mich Themen neu zu stellen, die Herausforderung zu suchen. Ich würde mich nicht hyper ehrgeizig darin bezeichnen, stets die Nummer eins sein zu wollen. Aber ich spüre eine große Befriedigung darin, alles, was ich anpacke, auf einen vorzüglichen Stand zu bringen. Das ist mein Anspruch.
Sie sind Experte für Mergers & Acquisitions und auch für Corporate Governance. Wie risikofreudig sind Sie denn als Privatmensch?
Die Frage sollte vielmehr lauten: Wieso assoziieren Sie M&A mit Risiko? Sicherlich hat jede Entscheidung – dazu gehört der Kauf oder Verkauf eines Unternehmens – eine unternehmerische Dimension, die naturgemäß risikobehaftet ist. Es ist ein Unterschied, ob Private Equity-Gesellschaften in Unternehmen investieren und eine Verzinsung von größer 15 Prozent erwarten, weil eben der Totalverlust möglich ist. Oder ob ich in der Umsetzung auf ein analytisch kalkulierbares Risiko setze.
Ich bewerte, und ich bewerte gut. Das habe ich mein ganzes Leben lang gemacht und darin habe ich Erfahrung. Einen Single-Trail mit dem Mountainbike herunterzustürzen, kommt für mich nicht in Frage, weil ich das nicht beherrschen kann. Aber ein Unternehmen zu kaufen, das für den Käufer integrierbar ist, empfinde ich nicht als riskante Entscheidung. Bei Finanzierungen sind die Konsequenzen überschaubar. Da bin ich ziemlich angstfrei.
Die Positionen von Aufsichts- und Beiräten sind attraktiver denn je. Was raten Sie denjenigen, die sich für diese Positionen interessieren?
Zuerst einmal empfinde ich diese Wahrnehmung als problematisch. Nach meinem Empfinden gibt es zu viele Menschen, die diese Aufgabe falsch interpretieren, die mit dieser Position vor allem Prestige verbinden. Die Realität ist eine andere. Es ist schwierig, Entscheidungen zu treffen und man stellt sehr schnell fest, wie alleine man teilweise damit ist und dass eine erhebliche Verantwortung und Haftung mit dem Amt verbunden sind. Daher ist es sinnvoll, einen kräftigen Unterbau zu haben, um der Rolle eines Aufsichtsrats gerecht zu werden. Das können Sie meiner Erfahrung nach nicht, wenn Sie mit einem frischen MBA von Harvard um die Ecke kommen, da stehen Sie noch auf der allerersten Stufe. Eine entsprechende Ausbildung, eine fachliche Kompetenz, die sehr solide ist – das sehe ich als Grundvoraussetzung dafür, solch einem Mandat gewachsen zu sein.
In meiner Position bei ArMiD beschäftige ich mich mit der Frage, was wir künftigen Aspiranten als Unterstützung mitgeben können. Ein dringendes Petitum an werdende Aufsichtsräte ist zu lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Das lässt sich trainieren. Als Aufsichtsrat bin ich nicht weisungsbefugt, ganz dezidiert nicht. Ich spiele als Scharnier eine wesentliche Rolle zwischen den Gesellschaftern und der operativen Führung. Aber eben nur in dieser besagten Rolle als Scharnier. Die Fähigkeit, einem operativen Management beratend zur Seite zu stehen, liegt wie bereits erwähnt in der Kunst, die richtigen Fragen zu vielfältigen Themen zu stellen. Ein Spezialist für IT muss sich als Aufsichtsrat auch zur Einstellung eines Vorstands äußern können, genau wie zur Fragestellung, ob wir in Singapur investieren oder in Malaysia. Da kommen Sie sehr schnell aus der Komfortzone eines Fachwissens heraus und werden reingeworfen in ein Wasser, was relativ kühl ist.
Wie werden sich aus Ihrer Sicht die Anforderungen an die Besetzung von Aufsichtsrats-Positionen noch verändern?
Ich glaube, dass die Konsequenzen aus Wirecard – viele kritisierten die Struktur der deutschen Finanzmarktaufsicht als veraltet und ungeeignet – uns zu weiteren Veränderungen zwingt. Ein Betrugsfall wie dieser spült in puncto Corporate Governance zwei Dinge nach oben, nämlich die Verantwortung, die man als Aufsichtsrat hat und die Notwendigkeit, die gebührende Sorgfalt an den Tag zu legen für diese Aufgaben.
Auf was kommt es also an? In erster Linie sich zu professionalisieren. Das heißt, mehr Zeit zur Verfügung zu stellen, als das gemeinhin verstanden wird. Wie sagte man einst so lapidar: „Je länger die Anfahrt, desto besser bin ich vorbereitet“. Das ist nicht mehr gültig. Ein Basis-Programm von zwei oder vier Sitzungen im Jahr genügt längst nicht mehr. Eine Person, die keine Kalender-Hoheit besitzt, also nicht in der Lage ist, mindestens zwei Dutzend Arbeitstage im Jahr zur Verfügung zu stellen, perspektivisch, sollte davon die Finger lassen. Die Haftung nimmt zu, die Professionalisierung nimmt zu, die Komplexität der Themen steigt.
Viele vergessen hinter dem persönlichen Ehrgeiz, sich mit dem Amt eines Aufsichtsrats zu schmücken, warum es in diesem Gremium überhaupt geht. Vielen Gremien würde es guttun, sich die Frage zu stellen: Wofür sind wir da? Was ist unser Sinn und Zweck?
Und wie lassen sich geeignete Kandidaten finden?
Mit dem weiteren Ausbau von Künstlicher Intelligenz (KI) und einem räumlichen Web werden sich meiner Meinung nach völlig neue Welten erschließen. Noch immer stellt die Simultanübersetzung in den AR-Sitzungen von Hansgrohe eine Herausforderung dar. Statements werden zwar faktisch korrekt übersetzt, aber in einer hitzigen Diskussion kommen selbst Profis ins Schleudern. Da gehen Nuancierungen verloren, die in einer Entscheidungsfindung essenziell sein können. Mit Unterstützung von KI sind wir zunehmend in der Lage, uns in der jeweiligen Muttersprache zu unterhalten, mit der entsprechenden Übersetzung im Ohr. Wenn wir einen solchen Raum schaffen, in dem eben diese Sprachbarriere sowie die räumliche Barriere abgeschafft werden, dann wird es einen deutlich größeren Pool an Kandidaten geben. Und das ist für die Industrie enorm wichtig, nämlich Talente zu haben, die nicht blockiert sind wegen irgendeiner kulturellen oder geografischen Barriere.
Auch die virtuellen Räume entwickeln sich dahingehend, dass alle sechs Sinne bespielt werden können und, dass es die Einzigartigkeit des physischen Treffens reduziert und ersetzt.
KI ist eine Möglichkeit, die Quoten-Regelung eine andere. Nach der zum Jahreswechsel 2022/2023 in Kraft getretenen EU-Führungspositionen-Richtlinie sollen in Aufsichtsräten großer EU-Börsenunternehmen mindestens 40 Prozent Frauen vertreten sein. Was halten Sie von dieser Quote?
Ich bewege mich jetzt zwar auf dem Glatteis. Trotzdem sage ich: Ich bin bedingungslos für Diversity und Inklusion. Die Quoten sind ein Hilfsmittel, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Dadurch werden die Beurteilung von Fähigkeiten sowie die Beschleunigung von Entscheidungsprozessen signifikant gefördert. Die Realität von Diversity und Inklusion in der Arbeit des Gremiums ist dagegen problematisch, weil diese unterschiedlichen „PS” zunächst einmal auf den Boden gebracht werden müssen. Die Sprache an sich ist ja schon eine Herausforderung. Was nutzt mir eine Person, die grundsätzlich alle Fähigkeiten mitbringt, wenn sämtliche Themenvorschläge im Gremium aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen auf Ablehnung stoßen.
Auch hier obliegt es in der Verantwortung eines Vorsitzenden, all diese Welten zusammenzubringen. Brücken zu bauen zum Wohle des Unternehmens, was laut Gesetz und Kodex, immer im Vordergrund stehen sollte.
Sie hatten mehrfach erwähnt, wie wichtig es ist, die richtigen Fragen zu stellen. Welche Frage würden Sie sich selbst noch stellen?
Es gibt so eine typische Frage, die Amerikaner gerne stellen: „Ab wann wollten Sie Aufsichtsrat werden?” Da antworte ich jetzt mal ganz augenzwinkernd: „Bevor ich geschlüpft bin, wusste ich schon, dass ich Aufsichtsrat bei Hansgrohe werden möchte.” Aber Spaß beiseite. Mir wäre es wichtig zu fragen „Bin ich im Gleichgewicht?“ und dabei das Wort Erfolg ein bisschen zur Seite zu legen. Ich empfinde meine Aufgabe zwischen Pflicht und Kür. Mir persönlich ist es wichtiger, zufrieden mit dem zu sein, was man erreicht hat, als eben „nur” erfolgreich zu sein. Das mögen manche als zu klein finden. Ich bin happy damit.
Herr Jaenecke, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Klaus F. Jaenecke