Wir freuen uns, in unserer neuen Ausgabe der Serie ERFOLGSGESCHICHTEN Frau Anka Wittenberg zum Interview zu begrüßen.
Wie kam es, dass Sie Ihre Karriere bei SAP für ein Social Sabbatical unterbrochen haben?
SAP war einer der Gründungsmitglieder der World Childhood Foundation, die im Jahr 1999 von I.M. Königin Silvia von Schweden gegründet wurde. Es bestand eine enge Verbundenheit, sodass die Königin von Schweden als Gründerin der Stiftung zum 40-jährigen Bestehen der SAP zu einem Besuch nach Deutschland kam.
Zu diesem Zeitpunkt wurde ein Vorstand für die Childhood Foundation gesucht und die Königin fragte mich, ob ich dieses Amt übernehmen möchte. Und einer Königin sagt man nicht ab. Nein, Spaß beiseite, die Aufgabe reizte mich auch sehr, da die Stiftung extrem viel Gutes bewirkt und es eine überaus sinnvolle Tätigkeit ist. Zunächst übte ich das Amt ehrenamtlich, zusätzlich zu meiner Tätigkeit bei SAP, aus.
Bei SAP haben Sie zuletzt als Chief Diversity & Inclusion Officer die globale Strategie für Diversität und Inklusion verantwortet. Was haben Sie in dieser Position bewirkt?
Es hat sich in vielen Studien gezeigt, dass Firmen, die inklusiv und divers sind, innovativer sind. Durch eine Vielfalt der Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Hintergründen und Kulturen entsteht ein breiteres Spektrum an Herangehensweisen, Blickwinkeln und Lösungsansätzen, was dann auch zu innovativeren und vielfältigeren Lösungen führt.
Und wir haben festgestellt, dass die Mitarbeiterzufriedenheit steigt. In einer gemeinsamen Studie mit PWC haben wir bereits 2014 herausgearbeitet, dass die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit um nur 1% bei SAP in einem Operational Profit von 48 Millionen bottom-line resultiert. Als Ökonomin hat mich dieser betriebswirtschaftlichen Auswirkungen einer auf Vielfalt basierende Kultur immer besonders interesseiert.
In diesem Rahmen haben Sie auch ein Programm für Autisten ins Leben gerufen, das in der Öffentlichkeit auf eine breite Resonanz gestoßen ist. Können Sie uns dazu einen Einblick geben?
Das Programm „Autism at work“ ist entstanden, als ich mein Team in Indien vor Ort besucht habe. Mitarbeiter hatten sich dort in einem Projekt engagiert und Kindern mit Autismus Laptops geschenkt und sie mit den Rechnern vertraut gemacht. Durch die Computer konnten sich die Kinder über Bilder austauschen und nonverbal kommunizieren. Wir haben in dieser Zeit einiges über Autismus gelernt. Als ich dann wieder im Flugzeug zurück nach Frankfurt saß, habe ich mir überlegt, wie man diese Menschen, die ganz besondere Begabungen haben, in die Arbeitswelt integrieren können.
Menschen mit Autismus haben oftmals eine sehr gute Merkfähigkeit, ein visuelles Gedächtnis und sehen Fehler sehr viel schneller. Gerade diese besonderen Fähigkeiten und Perspektiven konnten wir für die Softwareentwicklung gut brauchen.
Es ist gelungen, weltweit rund 300 Menschen mit Autismus zu gewinnen und zu integrieren. Wir haben dazu beispielsweise Support-Circles aufgestellt, damit es für die Autisten einfacher war, sich in unserer großen Organisation zurechtzufinden. Denn für Menschen mit Autismus kann schon der Gang in die Kantine ein großes Problem darstellen.
Wir waren mit diesem Programm unglaublich erfolgreich, sodass „Autism at work“ heute noch besteht. Und wir hatten weltweit ein riesiges positives Medienecho, als wir das Programm gelauncht haben.
Sie haben einen Teil Ihrer Jugend in den USA verbracht. Wie kam es, dass Sie in den USA gelebt haben, und wie hat Sie diese Zeit geprägt?
Als ich etwa 16 Jahre war, war mein Vater in Kalifornien und ist dort durch Zufall auf ein Internat – eine katholische Mädchenschule – mitten im Silicon Valley aufmerksam geworden. Für meine Eltern war dann sehr schnell klar, dass sie das als gute Weiterentwicklungsmöglichkeit für mich sehen.
Auf dem von katholischen Nonnen geführten Internat waren insgesamt rund 50 Mädchen, die aus den USA, Mexiko, Latein-Amerika und Asien kamen. Ich war damals die allererste und auch einzige Europäerin auf dem Internat, die natürlich anfänglich sehr kritisch beäugt wurde.
Diese Zeit, in der unterschiedlichste Kulturen auf engem Raum zusammengelebt haben, haben mich nachhaltig geprägt. Auch heute profitiere ich noch von diesen Erfahrungen und Erlebnissen mit verschiedensten Kommunikationsansätzen, Lebensansätzen und Wertesystemen.
Das andere was mich in dieser Zeit sehr geprägt hat, war die unglaubliche Disziplin, die in diesem Internat herrschte. So war beispielsweise jeden Abend Study Work von 19 bis 21 Uhr angesagt. Study Work bedeutete, dass wir alle zusammen in einem Raum saßen und sich jeder selbst ruhig beschäftigt hat – meist saß vorne im Raum eine Nonne, die gelesen hat und wir haben still unsere Hausaufgaben erledigt, gelesen und manchmal auch einfach reflektiert.
Sie haben drei Kinder während Ihres Studiums bekommen und eine beeindruckende Karriere gemacht. Wie ist Ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelungen?
Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert und meinen Sohn im ersten Semester bekommen. Meine erste Tochter in der Zeit zum Vordiplom und die zweite Tochter ungefähr während der Diplomarbeit. Ich habe zwar etwas länger studiert als meine Mitkommilitonen, aber nicht wesentlich länger.
Mit meinem damaligen Mann, der Tennis-Profi war, habe ich mir die Erziehung gut aufteilen können. Er hat die Kinder bis mittags betreut, ich sie in der Zeit danach. Um 20 Uhr gab es Abendessen und dann ging es für mich wieder zurück an den Schreibtisch.
Genau diese Disziplin, die ich schon in der Schule kennengelernt habe, hat mir in dieser Zeit geholfen. Man kann sich auch noch abends hinsetzen, auch wenn man drei Kinder ins Bett gebracht hat, um noch einmal zwei Stunden sehr konzentriert zu arbeiten.
Was ich wirklich rigoros umgesetzt habe war, dass ich mich tagsüber vollkommen auf meinen Beruf konzentriert habe und in meiner Freizeit dann ausschließlich Quality-time mit meinen Kindern verbracht habe. Dies ging natürlich nur, indem wir zur Unterstützung ein Au-pair hatten und ich die Dinge outgesourct habe, die ich outsourcen konnte – deshalb kann ich beispielsweise auch bis heute nicht bügeln.
Neben der Unabhängigkeit, insbesondere auch der finanziellen Unabhängigkeit, was raten Sie jungen, ambitionierten Frauen?
Frauen, die ich zum Thema Karriere berate, sage ich immer wieder: wenn ihr Karriere machen wollt, seht Macht als etwas Positives.
Leider ist der Begriff „Macht“ in Deutschland oft negativ besetzt. Für mich aber bedeutet richtig eingesetzte Macht die Möglichkeit, Einfluss nehmen zu können. Zur Einflussnahme muss man dann aber auch die volle Verantwortung für sein Tun übernehmen. Und dazu muss man bereit sein.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Ich habe im eigentlichen Sinne kein Lebensmotto.
Wichtig war und ist für mich, unabhängig zu sein, auch finanziell. So konnte und kann ich frei Themen ansprechen, die mir nicht gefallen und die ich ändern will.
Meinen Kindern habe ich das auch immer mit auf den Weg gegeben: Bleibt unabhängig, um transparente und richtige Entscheidungen treffen zu können.
Worüber können Sie herzlich lachen?
Über unseren 6 Monate alten Golden Retriever Namens Coco, wie Coco Chanel, muss ich häufig lachen. Denn sie benimmt sich so gar nicht ihrem Namen entsprechend.
Wenn sie sich bei einem Spaziergang im Dreck wälzt und das helle Fell schnell pechschwarz wird, dann muss ich einfach lachen. Und wenn sie mich dann mit ihren dunklen Knopfaugen so anschaut oder wieder irgendetwas macht, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, schmelze ich einfach dahin.
Frau Wittenberg, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Anka Wittenberg war bei der SAP SE von 2011 bis 2013 als Senior Vice President HR für Asien, insbesondere China und Indien, verantwortlich und hat personalseitig rund 45.000 Mitarbeitende betreut. Zwischen 2013 und 2019, als Mitglied des Global Executive Teams direkt dem Vorstand zugeordnet, zeichnete sie für die globale Strategie für Diversität und Inklusion der SAP SE verantwortlich.
Seit 2019 ist Anka Wittenberg für ihre Aufgabe als Vorsitzende des Vorstandes der World Childhood Foundation Deutschland im Rahmen eines Social Sabbatical freigestellt. Die World Childhood Foundation wurde 1999 von I.M. Königin Silvia von Schweden gegründet mit dem Ziel, das Recht der Kinder auf eine sichere und liebevolle Kindheit zu schützen und die Lebensbedingungen derjenigen Kinder zu verbessern, die sexuellem Missbrauch und Gewalt ausgesetzt sind.
Anka Wittenberg ist darüber hinaus unabhängige Beraterin für Wirtschaftsfragen des Auswärtigen Amtes und sie war in unterschiedlichen Aufsichtsräten tätig.