Klugen Köpfen kluge Fragen zu stellen, ist eine Kunst.
Mal provokant, aber stets charmant, fühlt Dr.-Ing. Katharina Knaisch mit viel Fingerspitzengefühl interessanten Persönlichkeiten auf den Zahn. Ein Interview über Erfolgsgeschichten, den Erfolgsfaktor Mensch und all das, was sich eben nicht googeln lässt.
Ihr aktueller Gesprächsgast: CHRO Christine Wüst. Die für HR, Marketing und Nachhaltigkeit verantwortliche Geschäftsführerin der weltweit agierenden Unternehmensgruppe Witzenmann ist ehrenamtliche Richterin und der Inbegriff einer Powerfrau. Ein Talk über HR-Transformation, „New Work“ und die Frage, wer beim Tanzen den Takt vorgibt.
Frau Wüst, seit September 2022 sind Sie CHRO bei Witzenmann und verantwortlich für über 4300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie selbst sagen, dass Sie das Ziel „Geschäftsführerin zu werden“ als utopisch erachteten. Warum diese Zweifel?
Ich hatte, ehrlicherweise, an mir selbst niemals Zweifel. Aber früher waren Geschäftsführer vom akademischen Background nun mal eher Juristen oder Ingenieure und keine „Personaler“. Zudem war es in der Geschäftsführung fast schon Pflicht, einen Doktortitel zu haben. Den ich ja nicht habe… Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich meiner Mutter eines Tages erklärt habe, dass es mein Ziel es ist, Geschäftsführerin zu werden. Sie lachte und meinte: „Da hättest du aber etwas anderes studieren müssen.“ Daher empfand ich diesen Karriereschritt lange Zeit als utopisch und habe ihn tatsächlich so nicht erwartet. Mittlerweile bin ich nicht nur fürs Personal zuständig, sondern auch für Marketing und Nachhaltigkeit. Aber ich nenne mich trotzdem CHRO, weil es da schlicht keinen anderen Begriff gibt.
Ihr Hashtag auf LinkedIn lautet: „esgibtkeinBusinessohnePeople“. Was macht eine gute Führungsperson aus?
Ich brenne tatsächlich schon sehr lange für das Thema Führung. Weil das für mich ein essenzieller Bestandteil einer jeden Unternehmenskultur ist. Führung ist
People-Business. Man muss Menschen mögen, wenn man führen möchte. Ich selbst bin nicht so der Hierarchie-Typ und der Begriff „Augenhöhe“ mag ausgelutscht sein, aber er beschreibt eben genau das, was mir wichtig ist: dass alle Teil eines Ganzen sind. Wer versteht, welchen Beitrag er leistet, kann sich besser mit dem Unternehmen identifizieren. Er hat mehr Spaß bei der Arbeit und ist produktiver. Daher ist Feedback unerlässlich. Und Nähe zulassen. Nur so lässt sich ein WIR- Gefühl entwickeln.
Nähe zulassen – wie meinen Sie das?
Ich persönlich halte eine strikte Trennung von privat und Business für illusorisch. Ich bin in der Firma doch derselbe Mensch wie zu Hause. Jeder weiß, wie meine Tochter heißt. Und wenn ich morgens in den Betrieb komme und schlecht gelaunt bin, dann erzähle ich, warum ich einen doofen Morgen hatte. Umgekehrt interessiert es mich ebenso, wie es meinen Leuten geht. Das verstehe ich unter Nähe. Die Rolle des Arbeitgebers hat sich geändert.
Was muss sich in der HR noch ändern? Stichwort: Transformation.
Wir sind ja schon mittendrin. Ich sehe die HR nicht als Verwalter, sondern als Gestalter. Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind nun mal unser wertvollstes Gut und deshalb obliegt diese Verantwortung auch in der Geschäftsführung. Früher wurde klassisch in strategische und operative HR unterteilt. Heute betrachten wir das Thema ganzheitlich. Oben auf der Agenda steht für mich der Employee Life Cycle. Dazu gehört für mich der Onboarding-Prozess oder ebenso, dass wir unsere Rentner weiterhin zum Sommerfest einladen. Das hat sehr viel mit Wertschätzung zu tun.
Nur gegen ein Feel-Good-Management im Unternehmen wehre ich mich noch ein wenig. Benefits sind richtig und wichtig und das bieten wir an, von Firmen-Yoga bis hin zur Möglichkeit, mobil und remote tätig zu sein. Aber bei allem Respekt: Wir sind in erster Linie hier, um zu arbeiten.
Sie haben Recruiting angesprochen. Eines Ihrer Erfolgs-Rezepte ist das Programm „Bares für Rares“. Worum geht es da?
Es ist nichts anderes als eine Vermittlungsprämie, also Mitarbeiter werben Mitarbeiter. Den Begriff finde ich mutig gewählt, und das Angebot kommt mega gut an. Wir haben zuletzt acht neue Fachkräfte eingestellt, die wir aufgrund des Programmes rekrutieren konnten. Aktuell suchen wir ein ganz spezielles Profil und haben die Prämie deshalb verdoppelt.
Aber der monetäre Anreiz allein reicht natürlich nicht. Für mich ist ein authentisches Employer Branding ausschlaggebend. Es genügt nicht, sich nach außen hin als toller Arbeitgeber darstellen, wir müssen liefern. Das gelingt uns richtig gut und wir werden immer noch besser. Ich bin superstolz drauf, dass unsere Mitarbeiter uns so gut auf Kununu bewerten und uns so ein großartiges Feedback geben. Wir sind erneut unter die besten fünf Prozent aller Unternehmen bei Kununu gevotet worden.
Welche weiteren Maßnahmen zur Personalgewinnung erweisen sich bei Witzenmann ebenso als erfolgsversprechend?
Ganz klar: Active Sourcing und auch Cross Border Recruiting! Da investieren wir gerade viel, viel Energie. Und Zeit. Aber auch hier erleben wir einen Wandel, insofern dass die Menschen gefühlt ein bisschen aus den Social-Media-Kanälen flüchten. Es mag zwar old fashioned sein, ein Plakat an der Bushaltestelle aufzuhängen, aber diese Maßnahme ist ebenso wichtig. Wir wollen die Zielgruppe spezifisch abholen, also dort, wo sie leben.
Sie selbst sind Mutter einer Tochter. Wie lassen sich Job und Familie vereinbaren? Wie geht „New Work?“
Das ist tatsächlich eine Herausforderung, die ich alleine gar nicht meistern könnte. Ich bin nach der Geburt meiner Tochter direkt wieder arbeiten gegangen. In Vollzeit. Damals hat mein Exmann die Elternzeit übernommen, sonst wäre dies nicht möglich gewesen. Und ich habe bis heute meine Eltern, die immer wieder einspringen, meine Tochter abholen, sie nach Hause mitnehmen, mit ihr Hausaufgaben machen. Ich arbeite zudem nur zwei Tage vor Ort und drei Tage im Homeoffice. Das ist ein Mega-Statement des Unternehmens für uns Eltern. Ansonsten wäre dieser Job schlicht nicht machbar und das können wir ganz offen ansprechen.
Bleibt bei all der Arbeit noch ein bisschen Ich-Zeit übrig?
Das ist eine gute Frage. Wenn ich was mache, mache ich es ganz, gebe immer Vollgas. Da bleibt in der Tat nur wenig Zeit zum Durchschnaufen. Ich ziehe mir meine Energie darum aus dem Sport. Ich jogge seit 20 Jahren und brauche diesen Ausgleich. Wenn ich mich nicht drei oder vier Mal die Woche bewege, werde ich unzufrieden. Das wird zeitlich zwar immer schwieriger, weil auch meine Tochter ihre Mama braucht und verlangt. Darum habe ich es mir angewöhnt, nicht lange zu laufen, sondern schneller.
… und dann sind Sie obendrein noch ehrenamtlich Richterin am Amtsgericht?
Ja, das mache ich schon eine ganze Weile. Ich bin zwar keine Juristin, aber Personal hat viel mit Juristerei zu tun und ich habe seit jeher eine Leidenschaft für Gesetze. Ich bin ein Gerechtigkeitsmensch. Inzwischen wurde ich ans Landesarbeitsgericht nach Stuttgart berufen, also in die nächsthöhere Instanz. Das finde ich spannend und ich freue mich auf die Herausforderung.
Sie haben bereits in der Schule früh ihre Stimme genutzt, um Dinge zu verändern. Wie lässt sich Frauenpower lernen?
Ich weiß nicht, ob man das lernen kann. Ich bin einfach immer aufgestanden, wenn ich irgendetwas als ungerecht empfunden habe. Da kam mein Gerechtigkeitssinn durch. Deshalb wurde ich wohl zur Klassensprecherin gewählt. In dieser Zeit hat sich mein Selbstbewusstsein ausgeprägt. Je selbstbewusster du bist, desto leichter kannst du Dinge ansprechen, auch Unangenehmes. Ich habe als Praktikantin sogar dem damaligen Geschäftsführer meine Meinung gesagt. Und wissen Sie was? Er war darüber sehr dankbar. Umso höher die Hierarchie, umso weniger offen sprechen die Menschen. Das ist sehr schade. Ich bin ein Mensch der ehrlichen Worte. Und wenn du deine Kritik charmant verpackst, nimmt es dir kaum einer krumm.
Was sagt denn Ihr Gerechtigkeits-Sinn zum Thema „EqualPay“? Wie können Unternehmen den Gender Pay Gap überwinden?
Also ich muss sagen, dass ich selbst zum Glück noch nie in einem Unternehmen tätig war, wo dies der Fall war. Wir wurden stets tariflich bezahlt, nach Leistung und nicht nach Geschlecht. Aber ich habe mir vorhin noch einmal die allgemeine Statistik angesehen und ich bin erschrocken. Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Wie kann das in einem modernen und aufgeklärten Land wie Deutschland überhaupt noch passieren? Das ist mir unbegreiflich. Das würde ich in unserem Unternehmen sofort abschaffen, wenn es so etwas gäbe.
Das erinnert mich an diese Lehrfilme aus den 60ern, wie „Der 7. Sinn“, in denen auf die Gefahren durch Frauen im Straßenverkehr hingewiesen wurde. Zumindest können wir heute darüber lachen.
Letzte Frage. Sie haben sich in Ihrer Jugend den „Super-Goldstar“ ertanzt. Jetzt mal augenzwinkernd gefragt: Ist es leicht oder schwierig für Sie, zumindest beim Tanzen die Führung abzugeben?
Ich gestehe: Beim Tanzen tue ich mich schwer. Meine Tanzpartner wollten genau deshalb nicht so gern mit mir aufs Parkett. In meinem beruflichen Umfeld fällt es mir deutlich leichter, die Kontrolle abzugeben und mein Team machen zu lassen. Du kannst in der Geschäftsführung sowieso nicht alles selber machen. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Klar muss ich dann auch mit Entscheidungen leben, die ich vielleicht selber nicht getroffen hätte, aber das gehört eben dazu. That’s the game. Hauptsache, alle spielen fair.
Frau Wüst, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Vita:
Christine Wüst ist CHRO der Witzenmann Group. Im Januar 2021 übernahm sie den Posten als Vice President Human Resources, wurde im September 2022 später in die Geschäftsführung befördert. Zuvor übernahm sie bei SIXT als Senior Director für People Business die Verantwortung für den HR-Bereich und war fast neun Jahre als Leiterin Personalstrategie bei der Deutschen Flugsicherung (DFS) tätig.