Klugen Köpfen kluge Fragen zu stellen, ist eine Kunst.
Mal provokant, aber stets charmant, fühlt Dr.-Ing. Katharina Knaisch mit viel Fingerspitzengefühl interessanten Persönlichkeiten auf den Zahn. Ein Interview über Erfolgsgeschichten, den Erfolgsfaktor Mensch und all das, was sich eben nicht googeln lässt.
Ihr aktueller Gesprächsgast: Renate Radon, Executive Advisory in Technology and Manufacturing, dazu Kosmopolitin, passionierte Rotarierin und eine gesellige Pfälzerin obendrein. Ein Talk über Industrie 5.0, die Lust am Lesen und warum jeder zu Hause ein Dubbeglas haben sollte.
Frau Radon, Sie waren bei IBM, SAP und Microsoft in verantwortungsvollen Positionen, sind jetzt als Executive Advisory in Technology and Manufacturing tätig. Wieso haben Sie diesen Schritt in die Selbstständigkeit gewagt? Und: Was bekommen Kunden, wenn Sie Renate Radon buchen?
Zunächst vielen Dank, dass Sie mir die Gelegenheit zu diesem Gespräch geben. Die Selbständigkeit ermöglicht es mir, mich stets auf innovative Themen zu fokussieren und spezifische Schwerpunkte dort zu setzen, wo ich profunde Expertise und Erfahrungen habe. Für meine Kunden hat dies den Vorteil, dass neue Technologien eben dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nutzen für Mensch und Unternehmen bringen. So können wir beispielsweise künstliche Intelligenz in den Vertriebsprozessen überall dort integrieren, wo wir für die Kunden meiner Kunden einen echten Mehrwert erzeugen.
Sie beraten Ihre Kunden in Innovations- und Transformationsthemen, unter anderem auch im Bereich Industrie 4.0, also vereinfacht gesagt, in der Kommunikation zwischen den Maschinen. In welchem Bereich wird der Mensch hier zum Erfolgsfaktor? Oder werden menschliche Entscheidungen in diesen Prozessen bald überflüssig?
Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine gehört zu den komplexesten Herausforderungen, die wir bewältigen müssen, denn der Mensch ist weiterhin das Maß aller Dinge, ist und bleibt Erfolgsfaktor. Das menschliche Gehirn ist so lern- und leistungsfähig, dass es Dinge und Prozesse schneller erlernt als Maschinen, denn es lernt mit allen Sinnen.
Nehmen wir einmal das Erlernen von Buchstaben: der Mensch lernt Lesen und Schreiben über das Sehen, das Hören und die Haptik, das Schreiben. Um eine Maschine auf ein ähnliches Niveau zu bringen, braucht es eine sehr großen Datenbasis und viel Training, um ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen.
Auch in einer von Industrie 4.0 und künstlicher Intelligenz geprägten Welt bedarf es Menschen, die Industrie 4.0 gestalten und künstliche Intelligenz entwickeln. Damit wird die Arbeit anspruchsvoller: eine gute, qualifizierte Ausbildung sowie lebenslanges Lernen sind unabdingbar. Zurück zum Alltag: wir sollten uns die Technologie dort zunutze machen, wo sie uns entlastet – so wie wir das aus dem Bereich der Mobilität kennen: wenn es darum geht, schnell von München nach Hamburg zu kommen, wählen wir nicht den Weg per pedes, sondern genau das Verkehrsmittel, das uns am schnellsten dorthin bringt.
Obwohl Industrie 4.0 in aller Munde ist, setzen es viele Unternehmen bislang nur partiell ein. Gleichzeitig ist bereits von Industrie 5.0 die Rede. Wie weit ist dieser Fortschritt aus Ihrer Sicht?
Sie sprechen die Zusammenarbeit mit Menschen und sogenannten „Cobots“ an, also Robotern, die frei beweglich sind. Hier gibt es bereits vielversprechende Beispiele in unterschiedlichsten Industrien, z.B. in den Automobilbranche oder im Großanlagenbau. „Cobots“ entlasten den Menschen insbesondere bei schweren, reproduzierbaren Tätigkeiten. Dennoch bleibt der Mensch der wichtigste Produktionsfaktor und er rückt mit Industrie 5.0 zusammen mit den Themen „Nachhaltigkeit“ und „Widerstandsfähigkeit“ in den Mittelpunkt der Betrachtung – auch hier gilt: das Arbeiten in der Produktion wird anspruchsvoller und die Weiterentwicklung der Technologien bedeutet auch, dass die Menschen ihre Neugier und ihre Lernbereitschaft bewahren müssen– „Growth Mindset“ von Carol Dweck umschreibt diese Haltung. Wir könnten auch einfach sagen: Man braucht Mut, um voranzuschreiten. Um es einfach zu wagen, neue Technologien auszuprobieren und umzusetzen. Wir müssen auch andere Expertisen hineinholen, um einen Blick über den Tellerrand hinaus zu haben.
Expertise ist ein gutes Stichwort. Die sogenannten MINT-Berufe sind ja weiterhin stark männlich geprägt. Hat Ihnen das breite Wissen, das Sie im Bereich Wirtschaftswissenschaften, Geisteswissenschaften und IT haben, geholfen, sich in der (noch) männerdominierten Welt durchzusetzen?
Mein breit angelegtes Studium hilft mir, Herausforderungen immer ganzheitlich, aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Ich bin davon überzeugt, dass die ganzheitliche und interdisziplinäre Betrachtung für die komplexen Fragestellungen unserer Zeit unerlässlich ist. Daher müssen wir das Wissen aller Ressourcen, d.h. von Männern und Frauen, von unterschiedlichen Fakultäten und unterschiedlichen Nationalitäten zunutze machen. Die Lösungen finden sich in einem offenen Gedankenaustausch in einem breiten Miteinander.
Was ist Ihr Ratschlag an junge Frauen, die einen ähnlichen Weg wie Sie einschlagen möchten?
Eine sehr gute und breit angelegte Ausbildung ist nach wie vor der Schlüssel zum Erfolg. Dazu gehört der Mut, wirtschaftswissenschaftliche Fächer mit naturwissenschaftlichen Fächern zu kombinieren, z.B. indem man nach einem Studium in Biomedizin oder Informatik einfach noch einen Ausbildungsgang in Wirtschaftswissenschaften dranhängt. Kombiniert mit ein oder zwei Auslandssemestern ist dies eine ausgezeichnete Ausgangsbasis.
Für sehr wichtig erachte ich den Aufbau eines inspirierenden Netzwerks: hier ist inzwischen sehr viel Gutes auf den Weg gebracht worden, wenn ich z.B. an Femtec denke, das Frauennetzwerk der TU Berlin, das Frauen aus unterschiedlichen Fakultäten, Ländern und Unternehmen zusammenbringt – ein sehr starkes Netzwerk.
In Ihrer Laufbahn haben Sie in vielen Ländern gearbeitet und teilweise auch dort gelebt. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Das Arbeiten in den unterschiedlichsten Ländern war eine Bereicherung für mich. Es hat mir geholfen, immer wieder Perspektivwechsel vorzunehmen und Dinge nicht nur z.B. aus der technologischen Perspektive oder deutschen Sicht zu betrachten, sondern die Auswirkungen meiner Entscheidungen breit zu denken. Den Faktor Mensch, seine Wahrnehmung, seinen kulturellen Hintergrund und sein spezifisches Können habe ich dabei sehr unterschiedlich erfahren können: Indien hat – durch die Kultur und Religion – ein ganz anderes Zeitverständnis als wir Europäer, die wir in unserem einen Leben alles mitnehmen „müssen“. Nachhaltigkeit bekommt vor diesem Hintergrund eine ganz andere Dimension.
In einer digitalen, globalen Welt wie dieser … was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat ist in unserer globalen, digitalen Welt ganz wichtig: hier erfahren wir Bindung an Familie und Freunde, hier werden wir geprägt und hier fühlen wir uns geborgen. Es ist ein großes Glück, wenn man immer wieder in seine Heimat auch physisch zurückkehren kann.
Für mich ist Heimat der Ort, wo ich Familie und Freunde habe, wo ich reden kann, wie mir der Schnabel gewachsen ist, wo ich Vertrautes wieder finde und wo ich immer wieder Kraft tanken.
Pfälzer gelten als gesellige, offene Menschen – insbesondere an der deutschen Weinstraße. Was macht die Pfälzer Lebensart aus? Und wieso sollte jeder zu Hause mindestens ein „Dubbeglas“ haben?
Nun ja, ich bin ja erst mein halbes Leben Pfälzerin – aber ich würde sagen, die Offenheit und Geselligkeit, die Liebe für die Menschen, zum Leben und zur Natur sind hier schon sehr stark ausgeprägt, auch aufgrund des Weinbaus. Hier spürt jeder, bei jedem Weinfest, bei jedem Besuch auf einem Weingut, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Und was das Dubbeglas betrifft: Es fasst einen halben Liter und ist eine Aufforderung zum gemeinsamen Trinken – aus einem Glas. Mehr Geselligkeit geht nicht.
Wenn Sie die Nase voll von der Technik haben, ist Lesen Ihre Leidenschaft. Welches Buch sollte jeder gelesen haben?
Ja, Lesen ist meine große Leidenschaft und Bücher sind – trotz „Kindle“ – meine täglichen Begleiter. Ihre letzte Frage ist die schwierigste, denn es gibt so viele gute, lesenswerte spannende Bücher. Wenn das Kriterium ist „jeder sollte es gelesen haben“, dann fällt meine Wahl auf „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry.
„Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es“, formulierte es einst Erich Kästner so treffend. Sie selbst engagieren sich für den Rotary-Club. Was war der Ausschlag für dieses Ehrenamt?
Ja, ich bin passionierte Rotarierin. Vor allem mein Präsidentenamt von Juli 2022 bis Juni 2023 – man darf den Vorsitz dort nur für ein Jahr innehaben – hat mir sehr viel Freude gemacht und ich engagiere mich weiter gemeinsam mit meinen rotarischen Freunden dafür, das Leben jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Ganz gleich, ob wir uns um die Mutter- Kind-Gesundheit insbesondere in Afrika kümmern, um die Integration von Kindern und Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen oder um die Terrine in der Stadt, wo alle etwas Warmes zu essen bekommen – es ist mir wichtig, die Augen offen zu haben, um dem Einzelnen zu helfen, indem wir strukturelle Verbesserungsmöglichkeiten in unserem Alltag erkennen und umsetzen.
Letzte Frage: Was war das schönste Kompliment, das Sie je bekommen haben?
An ein Kompliment erinnere ich mich besonders gerne: es war meine letzte Veranstaltung als Präsidentin des Rotary-Clubs. Wir haben die Fördermittel übergeben, die wir in meinem rotarischen Jahr eingenommen haben – am schönsten waren die Freudentränen des Ehepaars, das mit unseren Mitteln in Ukundu in Kenia eine Geburtshilfestation aufbaut …
Frau Radon, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Vita:
Renate Radon ist seit 2019 als Executive Advisory in Technology and Manufacturing erfolgreich tätig. Im Sommer 2021 übernahm sie zudem einen Beiratsposten bei TASKING. Zuvor gehörte die engagierte Rotarierin drei Jahre lang zur Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland, kann ebenso auf Führungspositionen bei IBM und Capgemini zurückblicken. Für SAP war sie 16 Jahre lang als Vice President of Sales für die Standorte Walldorf und Washington D.C. verantwortlich. Renate Radon lebt in Rheinland-Pfalz.